Notfall-Traubenzucker immer dabei

Gesundheit – Kinder mit Diabetes lernen am GPR-Klinikum, mit der Krankheit umzugehen – Geocaching im Ostpark

Auf Schatzsuche mit GPS-Gerät begeben sich (von links) Laetitia, Jan, Lukas, Oualid und Alex während ihrer Schulungswoche. Foto: Frank Möllenberg

„Null Meter, wir sind am Ziel, irgendwo hier muss es sein“, ruft der neunjährige Jan und prüft noch einmal die Anzeige auf dem Display des GPS-Geräts. Die anderen Kinder zwischen acht und 13 Jahren fangen an, mit Stöcken in der Erde zu wühlen und Äste beiseite zu räumen. Es sieht aus, als wären sie auf Schatzsuche mitten in der Wildnis. Gewissermaßen sind sie das auch – beim Geocaching im Rüsselsheimer Ostpark. Das ist eine moderne Form der Schnitzeljagd, bei der man sich mit GPS-Geräten auf die Suche nach versteckten „Schätzen“ begibt. Verborgen sein können die überall: unter Parkbänken, hinter Straßenschildern, in Baumhöhlen.

Was aussieht wie eine Szene aus den Ferienspielen, hat einen medizinischen Hintergrund. Denn diese zwölf Kinder verbindet eine Krankheit: Sie alle leiden an Typ-1-Diabetes. Was das für ihren Alltag bedeutet, lernen sie in der letzten Ferienwoche am GPR-Klinikum. Eines heißt die Diagnose für die Kinder auf jeden Fall: Ihr Leben lang werden sie auf Insulinspritzen angewiesen sein. Diabetes ist nicht heilbar. Ein wichtiger Bestandteil der Schulung ist Bewegung an der frischen Luft – wie etwa beim Geocaching. „Das wirkt sich positiv auf den Stoffwechsel und damit auch auf den Blutzuckerspiegel aus“, erklärt Diabetesberaterin Iris Reppin, die die Kinder gemeinsam mit Diätassistentin Christine Nolle-Schmid und Assistenzärztin Julia Pfützner betreut. Es dauert nicht lang, da haben die Kinder den ersten „Schatz“, eine alte, rostige Blechdose unter einem dicken Ast, gefunden. Darin befindet sich eine Liste, in die sich alle erfolgreichen Schatzjäger eintragen dürfen. Der 13 Jahre alte Alex aber hat sich etwas abseits des Trubels auf einen Baumstumpf gesetzt und packt sein Blutzuckermessgerät aus. „Ich hab mich grade ein bisschen zittrig gefühlt und muss mal messen“, erklärt er gelassen, während er sich in den Finger sticht und ein Tröpfchen Blut auf den Messstreifen aufträgt. Und tatsächlich: „65, das ist ein bisschen zu niedrig“, sagt er. „Perfekt wäre er um die 100.“ Und prompt packt er sein „Notfallpaket“ an Traubenzucker aus und schiebt sich ein Stück in den Mund. Traubenzucker ist eine der „Raketen“, wie Reppin sie nennt, die schnell ins Blut gehen. Unterzuckerung ist eine Nebenwirkung, die bei der Insulintherapie auftreten kann. Darum ist die regelmäßige Kontrolle des Blutzuckerwertes wichtig. Alex macht das ungefähr sieben Mal am Tag. Manche Kursteilnehmer sind zum ersten Mal dabei, weil die Krankheit bei ihnen erst vor Kurzem diagnostiziert wurde. Andere – wie der 13 Jahre alte Oualid – sind schon „alte Hasen“, wie er selbst sagt. Er war fünf, als sich herausstellte, dass er Diabetes hat. „Am Anfang hat meine Mutter mir die Spritzen gegeben. Seit ich neun bin, mache ich das selbst“, sagt er. Weh tut ihm das schon lange nicht mehr. „Es ist sogar angenehm“, findet er.

Große Einschränkungen in ihrem Alltag hätten zuckerkranke Kinder eigentlich nicht, sagt Diätassistentin Nolle-Schmid. „Betroffene müssen eben nur genauer darauf achten, was sie essen und den Kohlenhydrat-Gehalt berechnen.“ Von dem wiederum ist die Insulindosis abhängig, die gespritzt werden muss. Vollkorn sei in jedem Fall immer die bessere Ernährung als Weißmehl, Süßigkeiten und Fast Food sollten eigentlich die Ausnahme bleiben – „aber das gilt ja auch für gesunde Kinder“, sagt Noll-Schmid. Gesunde Ernährung ist das zweite große Thema, um das sich die Schulung dreht. Beim gemeinsamen Einkaufen und Essen wird den Kindern ein Gefühl für Inhaltsstoffe vermittelt. Aber auch ein Besuch bei der Döner-Bude steht bewusst auf dem Programm. „Das gehört schließlich zum Lebensalltag der Jugendlichen“, sagt Iris Reppin. Natürlich heißt es aber auch dabei für alle Teilnehmer: Erst den Kohlenhydrat-Gehalt berechnen und den Insulinwert anpassen. Dann aber können sie genauso beherzt zubeißen wie alle anderen Kinder auch.

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RĂĽesselsheimer Echo Meike Mittmeyer
vom 07.08.2012

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